Werte und kritischer Dialog statt Verschwörungen. Zu Streitigkeiten über ÚSTR

Die jetzige Führung setzte den politischen Auftrag fort, mit dem das Institut gegründet wurde: Geschichte als ein Aufeinanderprallen von Gut und Böse zu sehen, in dem altbewährte „traditionelle“ Werte und die sogenannte „normale“ (kapitalistische und konservative) Welt schließlich gewinnen. Foto FB des Institute for the Study of Totalitarian Regimes

Ein gewöhnlicher Beobachter kann die verschiedenen Details der theoretischen und fachlichen Auseinandersetzungen um das Institut zur Erforschung totalitärer Regime kaum konsequent verfolgen. Und seien wir ehrlich – vielleicht kümmern sie sich nicht wirklich um ihn im Zusammenhang mit seinen alltäglichen Problemen.

ÚSTR ist jedoch eine öffentliche Institution, die die Politik des historischen Gedächtnisses mitgestaltet. Und so hat oder kann es einen ziemlich grundlegenden Einfluss darauf haben, wie wir als Gesellschaft mit unserer kollektiven historischen Erfahrung umgehen und was wir aus dieser Erfahrung mitnehmen. Die Frage, welche historischen Momente und Meilensteine ​​es auf die Titelseiten der Geschichtslehrbücher schaffen und welche hingegen nur einen bescheidenen Platz in den Fußnoten einnehmen werden, entscheidet sich bei der Erstellung von Bildungskonzepten und Rahmenlehrplänen.

Was passiert am Institut?

Die Bildungsabteilung der ÚSTR, deren Mitarbeiter inzwischen teilweise mit dem Direktor des Instituts, Ladislav Kudrna, in Streit geraten sind, fungierte lange Zeit als eine Art sehr aktiver Think Tank, der maßgeblich an der Entstehung mitgewirkt hat von pädagogischen Konzepten, und eine Reihe von Pädagogen bestätigten ihre Mitarbeit. Dennoch wurde ihr Anführer Čeněk Pýha von seinem Posten entlassen. Es ist offensichtlich, dass die aktuelle Arbeitsweise des Bildungsministeriums grundlegend von den Vorstellungen des Direktors Ladislav Kudrna abweicht.

Wie die zahlreichen Nachrichten von Unterzeichnern der Online-Petition zur Unterstützung des Bildungsministeriums belegen (mehr als 800 Personen haben sie bisher unterzeichnet, hauptsächlich Pädagogen und Historiker), verstehen viele Geschichtslehrer auch nicht, warum ein Arbeitsplatz, mit dem sie arbeiteten Brunnen muss nun reorganisiert werden.

Die gebildete Öffentlichkeit mag einige Anklänge an Streitigkeiten über den sogenannten Geschichtsrevisionismus bemerkt haben und eine gewisse Vorstellung davon haben, dass diese Streitigkeiten eine Art Grundlage für all das wilde Geschehen bei ÚSTR sind. Wir können daher sagen, dass der Kern des Problems nicht nur auf der Ebene persönlicher Beziehungen und kleinerer konzeptioneller und administrativer Streitigkeiten liegt. Die Wurzeln des Konflikts sind theoretischer Natur und berühren die Grundfesten der Arbeitsweise des Historikers, der Art und Weise, wie er die Geschichte betrachtet und wie er selbst ihren Begriff gestaltet.

Wenn wir fragen, was eigentlich bei ÚSTR passiert, müssen die Grundlagen geklärt werden: Unter ihrer Führung oder in enger Zusammenarbeit mit ihr arbeitet eine Gruppe von Historikern, Publizisten und Bürgeraktivisten, deren Art der Interpretation der Geschichte gleichzeitig zugrunde liegt prinzipientreuer Antikommunismus und wertebasierter vager Konservatismus. Alle möglichen ideologischen Tendenzen spiegeln sich in der instabilen Form dieser Mischung wider: vom tschechischen Thatcherismus der 90er Jahre über den Katholizismus bis hin zum nationalistischen Traditionalismus, der ideologisch in die Reihen der Zwischenkriegsbauern tendiert.

Die Traumromanze des Antikommunismus

Einige der Historiker an der Spitze des Instituts, nämlich der Direktor Ladislav Kudrna selbst, und insbesondere der Vorsitzende des Institutsvorstands, der bekannte Forscher Eduard Stehlík, verfügen auch über Expertise auf dem Gebiet der Militärgeschichte. Diese erfreuen sich bei den Lesern großer Beliebtheit, neigen aber gleichzeitig irgendwie prinzipiell zu einem gewissen Machismo und einer romantischen Heroisierung ausgewählter Persönlichkeiten, die von einem bestimmten Lesertyp sogar erwartet wird.

Der Militärgeschichtshistoriker steht immer wieder vor der Frage, welche anderen methodischen Prinzipien – typischerweise etwa aus dem Bereich der Gender Studies oder der Mentalitätsgeschichte oder der Kulturwissenschaften – er auf die eigene Forschung anwenden sollte, um diese Tendenz etwas abzumildern und zu verorten seine Deutung in die Strukturen umfassenderer gesellschaftlicher Prozesse.

Allerdings hat sich zumindest Ladislav Kudrna selbst diese Frage wohl nie gestellt, denn auch in seiner jüngsten Veröffentlichung Fakten und Lügen über den Kommunismus äußerte er die Vermutung, dass solche Grundbegriffe der Sozial- und Kulturgeschichte, wie etwa der Begriff der Moderne, tatsächlich vage ideologisch seien Neusprech, eine sterile Sprache, die im Ergebnis die Geschichte „entpersonalisiert“.

Seine Argumentation wird im Wesentlichen von Pavel Šafr wiederholt, dessen Heimatzeitschrift Forum24 eine Plattform ist, auf der Ladislav Kudrna und andere verwandte rechte Historiker oft schreiben. Šafr glaubt sogar, dass die angebliche Besessenheit der „Revisionisten“ von historischen Strukturen und Prozessen (wie zum Beispiel der Moderne) direkt zur Renormalisierung der Geschichte führt.

Zweifellos ist es beiden Autoren wichtig, eine moralisch starke authentische Persönlichkeit in den Mittelpunkt der rekonstruierten historischen Geschichte zu stellen, sei es Soldat, Legionär, Widerstandskämpfer, Dissident oder Untergrunddichter. Der Grundpfeiler historischer Ereignisse ist hier die epische und romantische Tragödie – jeder Versuch, eine solche persönliche Geschichte mit dem Hinweis auf eine anthropologische und gesellschaftskritische Analyse der historischen Realität zu „erklären“, wird als Versuch angesehen, eine Art höheren ethischen Sinns für das Geschichtliche moralisch zu revidieren Geschichte.

Verteidige die “normale Welt”

Die Auffassung der Geschichte des 20. Jahrhunderts in der Form, in der sie von der gegenwärtigen Führung der ÚSTR vertreten wird, basiert auf einem romantisierten und heroischen antikommunistischen Mythos. Es ist die Konzeption der Geschichte als ein Aufeinanderprallen von Gut und Böse, wo altbewährte „traditionelle“ Werte letztendlich siegen und die sogenannte „normale“ (also kapitalistische und konservative) Welt dem ständigen Druck verschiedener Revisionisten, Soziologen, widersteht , Anthropologen und andere marxistische Schurken.

Es ist eine Geschichtsauffassung, über der nicht nur der Gestank von Testosteron und stolzer Knabe schwebt, sondern auch der Schatten des Rausches der ersten Hälfte der neunziger Jahre, also einer Zeit, die besonders unter moralisierenden und romantischen Deutungen litt Geschichte. Es ist ein problematisches, exzentrisches Konzept, das jedoch in einem demokratischen System völlig legitim ist.

Genauso legitim wie die gesellschaftliche Debatte darüber, ob wir diese Ausflüge zurück in die Neunzigerjahre wirklich brauchen und ob wir uns von unseren polnischen Nachbarn inspirieren lassen müssen, wo der Mythos einer stolzen und antikommunistischen katholischen Nation eine tragende Rolle in der Propaganda spielt die Partei Recht und Gerechtigkeit.

Schließlich handelt es sich um Exkursionen und Inspirationen, die mit öffentlichen Geldern bezahlt werden, und es stellt sich die Frage, ob die tschechische Gesellschaft nicht auch angesichts ihrer eigenen historischen Tradition analytischer und theoretisch ausgefeiltere Interpretationen historischer Ereignisse verdient hat. Der Versuch einer „Polonisierung“ der tschechischen Politik des historischen Gedächtnisses wirkt zwangsläufig wie ein fremder Anachronismus und kann kaum zur Stärkung der demokratischen und staatsbürgerlichen Kompetenzen der tschechischen Gesellschaft beitragen.

Das eigentliche Problem mit dieser Vorstellung liegt in ihrer vorgefassten Verschwörungsstimmung, die mit dem beharrlichen Bedürfnis der Konservativen verbunden ist, die „normale Welt“ zu verteidigen.

Verschwörung gegen “Tradition”

In der Praxis sieht es so aus, als würden diejenigen Forscher, die aus verschiedenen Gründen mit dieser machistischen, traditionalistischen, militärischen und romantischen Geschichtsauffassung nicht einverstanden sind, als Revisionisten abgestempelt, die im besten Fall in konspirativer Zusammenarbeit mit der ČSSD und die ANO-Bewegung angeblich den tschechischen “Babyismus” legitimieren, schlimmstenfalls werden sie als eine Art heimliche Helfer von Putins autokratischem Regime und Putins fünfter Kolonne bezeichnet.

Darauf wollte auch der Offene Brief tschechischer Historiker an Ministerpräsident Petar Fial vom 25. Februar 2022 hinweisen, den Ladislav Kudrna unterzeichnet hat. Seine Lektüre weckt Erinnerungen an die umstrittene Zeit der sogenannten Zweiten Republik im Jahr 1938. Es ist eine falsche Anklage gegen Kollegen aus der tschechischen Geschichtsgemeinde und wird von einer bizarren Welle von Verschwörungsvorwürfen und Vermutungen getragen.

Immerhin basiert die Eröffnungsthese von Kudrns Buch Fakten und Lügen über den Kommunismus auf Verschwörung. Das verschwörerische Echo schwingt auch mit, wenn Ladislav Kudrna damit droht, seine Mitarbeiter wegen Bossing-Sorgen zu verklagen, anstatt zu versuchen, die ganze Situation zu beruhigen.

Verschwörungsparanoia, eingeschlossen in ihrer traditionalistischen und konservativen Blase, gemalt mit Antikommunismus (eigentlich eine totale Skepsis gegenüber allem Linken), ist kein kritischer Diskussionsbeitrag und keine anspruchsvolle Forschungseinsicht. Es ist nur ein Schlachtruf, bei dem sich die weltfremden Helden der Schlachten von gestern auf die Schulter klopfen und in die Rolle selbsternannter Dissidenten schlüpfen. Nicht nur zum eigenen Schaden, sondern vor allem zum Schaden der gesamten Geschichtsgemeinschaft.

Auch eine rechte Sichtweise kann in Werten und Ideen verankert werden und nicht nur auf Verschwörungen beruhen

Es widerspricht dem Geist der Logik der Programmerklärung der Regierung, wenn wir einerseits beträchtliche Mittel aus dem Staatshaushalt zur Bekämpfung der tschechischen Verschwörungs- und Desinformationsszene aufwenden, aber die Verbreitung anderer Verschwörungserzählungen tolerieren, die nur die raffinierteren insofern, als sie sich mit einer einzigartigen Interpretation sogenannter westlicher demokratischer Werte bedecken und zu diesem Zweck auch die menschliche Tragödie des russischen Einmarsches in die Ukraine nutzen.

Der giftige Stachel dieser Verschwörungserzählungen wirkt jedoch auf etliche Historiker unangenehm, seien es Michal Pullmann, Kristina Andělova oder das Autorenteam der Publikation 13 Objekte aus dem (un)glücklichen Museum. Der einzige Fehler der Autoren dieser interessanten Veröffentlichung war, dass sie auf ihren Seiten darauf hinwiesen, dass wir hier nicht nur die Geschichte von Eliten, erfolgreichen Männern und Militärhelden haben, sondern auch die Geschichte der Arbeiterbewegung, die bis dahin tragisch vernachlässigt wurde In jüngster Zeit und jetzt einen neuen Aufschwung erlebend, spielte die Bewegung entsprechend der inhärenten Rolle, die die Arbeiter spielten, bereits vor 1918 eine Rolle in der Entwicklung demokratischer Prozesse.

Ich sehe es nicht als Problem an, wenn die ÚSTR-Führung aus rechten, traditionalistischen und romantischen Positionen heraus Geschichte schreiben und interpretieren will. Es ist legitim. Aber diese Position sollte anerkannt und vor allem auf einer soliden theoretischen Grundlage beruhen und nicht auf Verurteilungen, Klagen, Verschwörungsvermutungen und Befürchtungen einer marxistischen Verschwörung.

Erst wenn die Meinungsposition der Führung des Institute for the Study of Totalitarian Regimes nicht mehr von der vermeintlich einzig objektiven Wahrheit gedeckt ist und auf realen Werten und Ideen basiert, nicht auf Verschwörungen, wird es möglich sein, sie als solche zu betrachten wirklich selbstbewusst, in Werten verankert. Auf diese Weise wird es möglich sein, sie zu kritisieren, mit ihr ins Gespräch zu kommen und sie gleichzeitig voll und ganz zu respektieren. Erst dann werden sich die Ereignisse in dem tschechischen historischen Dorf etwas beruhigen.


Source: Deník referendum by denikreferendum.cz.

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